Folgendes Interview erschien Sommer 2017 in der online-Zeitschrift eXperimenta:
„Grenzenlose Freiheit oder ohne Grenzen keine Freiheit“
Friedemann 'Fried' Dähn, Cellist und Experimentalmusiker im Gespräch mit Rüdiger Heins
eXperimenta: Können Sie sich an Ihr erstes musikalisches Erlebnis erinnern?
FD: Ich sitze am Flügel meines Vaters und spiele Töne. Immer die gleichen, tiefen Töne und höre in den Klang hinein. Ich war damals vielleicht gerade mal drei Jahre alt.
eXperimenta: Wie kam es denn dazu, dass Sie Cello spielen wollten?
FD: Bei uns zuhause wurde immer viel Musik gemacht. Meine Mutter hatte ein Ensemble für alte Musik. Da war einer dabei, der hat Gambe gespielt. Der Klang dieses Instruments hat mich ungeheuer fasziniert. So kam ich auf das Cello.
eXperimenta: Sie haben zunächst klassische Musik gespielt. Wann haben Sie angefangen experimentelle Musik zu machen?
FD: Ich begann recht früh, mich für Jazz zu interessieren.Von einem Cousin, der Jazzfan war, überspielte ich mir Tonbänder, hörte viel Radio. Das muss so mit 11 oder 12 gewesen sein. Zu der Zeit fing ich ja gerade an, Cello zu lernen. Am Klavier saß ich aber weitaus häufiger und improvisierte viel. Mit 14 oder 15 hatte ich dann meine ersten Bands, da spielte ich Keyboard. Gefallen hat mir aber damals schon alles, was wild und experimentell, exotisch, absurd oder eben ‚anders’ war, also Musik, die mir neue Räume erschloß und mich überraschte.
eXperimenta: Sie sind musikalisch ein Wanderer zwischen den Welten. Auf der einen Seite die Klassik und auf der anderen Seite experimentelle Musik. Wie passt das für Sie zusammen?
FD: Vielleicht kann man das so auf den Punkt bringen, das Klassik fremde Töne und die experimentelle (oder freie Musik, Improvisation, Jazz) eigene Töne spielen heißt. Bei der Klassik war für mich die Herausforderung, die fremden Töne zumindest teilweise zu meinen eigenen zu machen. Ganz nebenbei lernt man dabei auch diese Musik, die ja zu den großartigsten kulturellen Leistungen gehört, kennen und schätzen. Und durch die enorm hohen technischen Ansprüche profitiert man als Instrumentalist natürlich auch. Von Kenntnissen der Klassik kann wiederum die Experimentalmusik profitieren. Fragen der Form, der Dynamik, des Klanges etc. sind in der Klassik ja allgegenwärtig.
‚Experimentelle Musik’ ist eigentlich ein zwiespältiger Begriff, da er nichts über den jeweiligen Musikstil aussagt. Damit ist eher die Herangehensweise an die Musik gemeint.
Es kann also New Jazz, Rock, elektronische Musik oder improvisierte Musik sein… oder eine Mischung aus allem. Klassik bzw. jede genau notierte Musik, ob neu oder alt, soll exakt so sein wie notiert. Experimentelle Musik trägt in sich das ständige Suchen und Verändern, aber auch da wird in einer Aufführung ein Ergebnis präsentiert, wobei das je nach Aufführungssituation oder anderen Gegebenheiten eben jedes Mal unterschiedlich sein kann. Allerdings, und das ist das aufregende bei der experimentellen Musik: Es schließt auch immer ein mögliches Scheitern mit ein. Und das finde ich in unserer auf Erfolg und Gewinn orientierten Zeit so wichtig. Im Grunde genommen sind wir mit unseren Systemen gescheitert, wollen das aber nicht wahrhaben und sinnvolle Schlüsse daraus ziehen und uns ändern.
eXperimenta: Beim Hören Ihrer Musik ist auffallend, dass Sie interdisziplinäre Musikprojekte gestalten, bei denen Sprache, Bewegung und Musik zentrale Themen sind. Was bringt Sie dazu, diesen interdisziplinären Ansatz so intensiv zu pflegen.
FD: Bewegtbild, Video und Visuals würde ich gerne noch hinzunehmen.
Der Hauptgrund ist sicherlich, dass mich andere Kunstgattungen sehr interessieren. Zudem eigne ich mir gerne Kenntnisse dadurch an, dass ich sie mir nicht nur theoretisch erarbeite, sondern, bis zu einem gewissen Grade, sie mir auch praktisch aneigne. Ich habe zum Beispiel einige Videos und Filme gemacht, einfach weil mich das Thema Videoschnitt, Bildbearbeitung und die Verbindung von Bild und Ton interessiert haben.
eXperimenta: Ihre Musik erscheint in ihrer Ausdrucksform sehr neugierig machend und für den Hörer ungewohnt. Wie weit gehen Sie denn in Ihrer Musikalität, auch auf die Gefahr hin, nur wenige Menschen zu erreichen?
FD: Die Frage, wie ich möglichst viele Leute erreiche, stelle ich mir gar nicht. Für mich zählt zunächst einmal nur, ob ich selbst mit dem Ergebnis zufrieden bin. Wenn es dann noch dem Publikum gefällt, ist es natürlich wunderbar. Wobei ich hinzufügen möchte, daß mir das Publikum nicht egal ist. Im Gegenteil versuche ich, je nach Anlaß und Kontext, das passende Programm zusammenzustellen.
eXperimenta: An welchem Projekt arbeiten Sie denn im Augenblick?
FD: Im Moment bereite ich die nächste Ausgabe des CAMP Festivals vor, welches im August in Potsdam stattfinden wird. Paralell dazu arbeite ich an einem Streichquartett, welches im Dezember uraufgeführt wird und arbeite an einem Programm mit dem Licht- und Projektionskünstler Kurt Laurenz Theinert. Das ist ein hochspannendes Duo, bei dem wir eine ganz enge Verflechtung von Hören und Sehen anstreben. Laurenz spielt ein 'visual piano', d.h. er generiert abstrakte Projektionen in Echtzeit, dazu noch in 360°. Ich spiele Electric Cello und Laptop, mit Musik von J.S. Bach und mir.
eXperimenta: 1999 haben Sie das internationale Festival CAMP (Collaborative Arts and Music Project) gegründet. Wie kam es zu diesem Festival?
FD: Kreativität und Inspiration entstehen meiner Meinung nach besonders gut im Kollektiv. In einem Team, bei dem jeder sich einbringen soll aber sich gleichzeitig der gemeinsamen Idee unterordnet. Wenn dann noch die soziale Komponente des Miteinander dazu kommt, gibt es für einen Künstler eigentlich nichts besseres.
eXperimenta: Welche Erfahrungen haben Sie mit diesem Festival gemacht?
FD: Bei einem CAMP entstehen die unglaublichsten Dinge in kürzester Zeit.
Das jeweilige Kollektiv setzt ungeheure kreative Energien frei. Wenn man erlebt, wie Künstler aus den unterschiedlichsten Disziplinen (Musik, Performance, Tanz, Video- und Medienkunst, Wissenschaft), die sich vorher nicht kannten, innerhalb kürzester Zeit die tollsten Performances entwickeln, ist das überaus befriedigend. Dazu kommt, das alle von allen lernen. Und da wir das Festival an immer wieder neuem Ort durchführen, lernt man auch eine neue Umgebung, eine neue Stadt oder ein neues Land kennen. Bislang waren wir neben Deutschland in Portugal, Kroatien, Rumänien, Bulgarien und in Italien auf der Biennale in Venedig.
eXperimenta: Sie arbeiten in ihren Kompositionen stark mit der Überraschung des ungewohnten Hörens. Welche Absicht verfolgen Sie dabei.
FD: Wenn uns etwas überrascht, sind wir augenblicklich auf einer Ebene der gesteigerten Aufmerksamkeit. Diese Überraschung kann sowohl humorvoll als auch eine Irritation bis hin zum Schock sein. Schockieren liegt mir nicht so, aber kleine Irritationen gefallen mir durchaus. Und die können zuweilen sehr humorvoll sein. Und wenn sich die Zuhörer amüsieren, dann hat man eigentlich schon gewonnen. Maurizio Kagel oder auch Dieter Schnebel waren bzw. sind solche Komponisten, bei denen man über und durch die Musik lachen kann. Frank Zappa ebenfalls. Im Übrigen auch Joseph Haydn… es ist also durchaus nichts Neues.
eXperimenta: Welche Räume der kompositorischen Prozesse beschreiten Sie, um zu einem Ergebnis zu kommen, das Ihrer musikalischen Intention nahe kommt.
FD: Ich arbeite gerne mit einem Thema und mit Begrenzung. Aktive Begrenzung wäre beispielsweise eine bewusste Reduzierung des Tonmaterials oder eine Vorgabe ähnlich der in der seriellen Musik benützen Formeln. Das Stück 100 Dada (zum 100ten Geburtstag von Dada) besteht aus hundert Seiten mit Noten und Anweisungen, die jeweils eine Dauer von einer Minute haben. Innerhalb dieser Struktur kann aber jeder Musiker in bestimmtem Rahmen, sowohl aleatorisch als auch selbstbestimmt, eigene Entscheidungen treffen. Sei es, die Notenblätter werden individuell gemischt oder es können freie Aktionen ausgeführt werden.
Für das Stück AamH, eine Bearbeitung eines Bachchorals, habe ich mich auf sieben Töne beschränkt, da in dem Choral nur diese sieben Töne vorkommen. Zudem habe ich den Chor in sieben Gruppen geteilt, die jeweils nur einen der sieben Töne singen. Bei dem Streichquartett, an dem ich gerade schreibe, habe ich mir ebenfalls selbst Vorgaben gemacht, die natürlich auch meine derzeitigen Interessen spiegeln.
Da sind es zum einem ein ganz begrenztes Ton- und Klangmaterial, z.B. nur mit Knack-Geräuschen zu arbeiten, die entstehen, wenn man den Bogen ganz fest auf die Saite drückt und dann nur einen ganz kurzen Bewegungsimpuls gibt. Oder aber eine ganz klare Vorgabe bei gleichzeitiger individueller Gestaltung. Das fordert die Interpreten im Übrigen nochmal auf eine andere Weise, da sie, vor allem in der klassischen Musik, keine eigenen Entscheidungen treffen können, oder wenn überhaupt, dann in winzigem Rahmen. Ich bin der festen Überzeugung, das Freiheit nur innerhalb von Grenzen stattfinden kann.
eXperimenta: Welche Symbolik hat bei Ihnen der Sound innerhalb des musikalischen Geschehens.
FD: Der eigene Sound ist in Jazz und Rock extrem wichtig. Am Sound erkennt man das Individuum, die Persönlichkeit. Klang ist immer unpersönlich. Es gibt Klangideale, die man, meist innerhalb einer jeweiligen Epoche oder eines Stils, anstrebt.
Die sich aber auch ändern. Der Sound ist immer auf die jeweilige Person bezogen. Wenn ich mich in der jeweiligen Szene auskenne, weiß ich nach wenigen Tönen bereits, wer da spielt.
eXperimenta: Sie arbeiten auch mit einem elektrischen Cello. Was für einen klassischen Musiker ungewohnt ist, aber für den experimentellen Musiker, der Sie ja auch sind, eine logische Folgerung. Was macht denn beim musizieren für Sie den Unterschied zwischen elektrischem und akustischen Cellospiel aus?
FD: Da gibt es in der Tat eine Menge Unterschiede. Zunächst mal der Sound. Je nach Instrument und der verwendeten Elektronik kann das Instrument ganz unterschiedlich klingen. Ob ich eher einen angezerrten ‚Röhren’-Sound will oder einen ganz klaren Klang, einen durch Filter oder Ringmodulator völlig veränderten Klang oder einfach nur unterschiedliche Hallräume. Mit der jeweiligen Elektronik sind die klanglichen Möglichkeiten nahezu unendlich. Damit lässt sich also wunderbar ‚experimentieren’.
Auch die Spielweisen sind anders, da man z.B. die Lautstärke nicht mehr mit Kraft und Intensität beim Spielen erzeugen muß. Dazu kommt, daß bislang fast unhörbares erlebbar wird. Ich kann z.B. ein weißes Rauschen erzeugen, das mit einem normalen, nicht verstärkten Cello nicht hörbar wäre
eXperimenta: Ist in diesem Zusammenhang für Sie die Elektronik eine Klangerweiterung des akustischen?
FD: Genau. Ich verwende meist einen ‚Looper’, ein Gerät, welches mich in Echtzeit bestimmte von mir gewünschte Töne oder Phrasen aufnehmen lässt, zu denen ich dann weitere addiere. Damit lassen sich dann Schicht für Schicht riesige Klanggebilde bauen. Gerne arbeite ich auch mit Sensoren, die bestimmte Parameter durch Bewegung verändern. Ich kann damit z.B. meinen Bogen nicht nur in der Horizontalen, beim Streichen der Saiten verwenden, sondern auch vertikal, indem ich dann mit der jeweiligen Bewegung den Klang entsprechend verändere oder manipuliere.
eXperimenta: Sie sind nicht nur Künstler, sondern haben in der Vergangenheit auch eine akademische Laufbahn gehabet, Wie sah die aus?
FD:
Ich habe von 1999 bis 2013 an der Hochschule für Gestaltung in Schwäbisch Hall unterrichtet, zunächst als Dozent, ab 2004 dann als Professor. Meine Aufgabengebiete waren Audiogestaltung, Aufnahmetechnik, allgemeine Musiklehre, funktionale Musik und Sounddesign. Wir haben aber auch viele künstlerische Projekte realisiert, Konzerte, Performances und Klanginstallationen. Leider wurde diese Hochschule geschlossen, ein bitterer Prozess, auf den ich hier nicht näher eingehen will. Danach war ich noch einige Jahre an einer Hochschul-Neugründung in München beteiligt, für die ich den Studiengang Popmusik und Klangkunst entwickelt habe und den gesamten Akkreditierungsprozess bis hin zur staatlichen Anerkennung begleitete. Aufgrung nicht realisierbarer Finanzierung ist dieses sehr innovative und spannende Projekt aber leider nie verwirklicht worden. Für mich persönlich hat das aber eine recht umfassende Kenntnis des Hochschulwesens gebracht.
eXperimenta: Vielen Dank für das Gespräch.